Fall of Porcupine – Ein süßer Trank mit bitterem Nachgeschmack

Ein Ankommen zwischen trügerischer Wärme und eisernem Ernst

Seid gegrüßt, Reisende, und rückt näher an die Flammen. Lasst mich euch einen Humpen füllen, mit einer Geschichte, die so süßlich duftet wie der erste Apfelwein des Herbstes, doch einen Nachgeschmack hinterlässt, der herb auf der Zunge brennt. Es ist die Erzählung vom Städtchen Porcupine – einer auf den ersten Blick heilen Welt voller freundlicher Tierwesen, die dich mit offenen Armen empfängt. Doch seid gewarnt: Schon der erste Herzschlag in Fall of Porcupine verrät, dass hinter der bunten Fassade ein krankes System schwärt.

Wir schlüpfen ins Gefieder von Finley, einer jungen Taube, kaum dass die Federn des Studiums trocken sind, nun Assistenzarzt im St. Ursula Hospital. Das Städtchen empfängt uns mit einer Farbenpracht und einer Wärme, die das Herz weit machen. Und doch lastet von der ersten Minute an ein unsichtbarer Druck auf Finleys Schultern. Kaum angekommen, reißt uns der Alltag in den Mahlstrom aus Termindruck, Pflichtgefühl und strenger Hierarchie: Da ist Dr. Krokowski, der direkte Vorgesetzte, so unnahbar und abgeklärt wie ein alter Feldherr. Über allem thront der Chefarzt Dr. Theobald, dessen Pflichtethos so schwer wiegt wie ein Burgstein. Selbst die einfachen Freuden – ein ruhiger Abend vor dem Flimmerkasten oder ein kühles Bier in der Schenke – werden zu einem seltenen Luxus. Willkommen im System, junger Arzt. Die Mühle beginnt zu mahlen.

Bunte Tierwesen, schwere Gedanken

Die wahre Magie von Fall of Porcupine ist die Kunst, knallharte Wahrheiten in ein weiches, flauschiges Fell zu hüllen. Die Straßen sind bevölkert von Persönlichkeiten mit Ecken, Kanten und einer tiefen Herzlichkeit. Da wäre Mia, eine junge Ärztin und Kuh, die mit scharfem Blick leise Wahrheiten ausspricht – etwa jene, dass mit jeder neuen Wegbiegung im Leben die Zahl der wahren Gefährten schrumpft. Oder Karl, der erfahrene Pfleger, ein Widder (Schaf), der den ganzen Betrieb mit der stoischen Ruhe eines Felsens und trockenem Humor trägt. Man muss lächeln, wenn man auf dem Heimweg einer der kleinen Kauzigkeiten der Stadt begegnet – und spürt doch stets, wie unter der Oberfläche feine Risse verlaufen.

Pina die Kuh und Finley Spielen nach der Arbeit Basketball.

Minispiele zwischen Pflaster, Protest und Perfektionismus

Das pochende Herz des Spiels schlägt im Krankenhaus – und das im Takt zahlloser kleiner Prüfungen, der Minispiele. Wunden müssen versorgt, Diagnosen aus Bruchstücken logisch zusammengesetzt, Medikamente in fließenden Abläufen sortiert werden. Mal ist es ein Rätsel, mal ein reiner Test der Reflexe, doch immer ist es ein Kampf gegen die unerbittliche Uhr und den eigenen Anspruch. Dieser Kreislauf aus Handgriffen fängt die zermürbende Routine, den steten Druck und die moralische Fallhöhe des Klinikalltags erstaunlich treffend ein.

Währenddessen brodelt es draußen vor den Mauern. Proteste formieren sich, immer mehr Bürger kränkeln, und das Gebäude selbst ächzt unter der Last der Vernachlässigung. Unter dem gemütlichen Anstrich verbirgt sich ein knallhartes Krankenhausdrama und eine beißende Satire auf unser Gesundheitssystem: Wo Kennzahlen mehr wiegen als der Mensch, wo Reparaturen aufgeschoben werden und wo ein Buchhalter namens Roman Heidrich lieber auf seine Tabellen starrt, während im Flur echte Seelen warten.

Nachtschichten und die Geister der fünften Etage

Die erste große Nachtschicht – welch ein Ritt! Eine Flut aus Hektik, falschen Alarmen und bitterem Ernst, untermalt von einem Sounddesign, das wie kalter Nebel durch die Gänge kriecht. Und dann ist da dieser Ort, von dem alle nur flüstern: die verschlossene fünfte Etage. Es ist ein Sinnbild des Verfalls – feuchte Flecken an den Wänden, verwaiste Zimmer, eine muffige Luft, die vom Vergessen erzählt. Hier sperrt das Haus all das weg, was nicht ins glänzende Bild passt; ein stummes Mahnmal für ein System, das lieber verdrängt, als dass es heilt.

Begegnungen am Fluss des Lebens

Zwischen den Schichten und dem schrillen Läuten der Stationsklingel aber pulsiert das Leben der Stadt in leisen, unvergesslichen Episoden. Da sitzt ein alter Angler am Fluss, der in der Strömung mehr liest als nur den Lauf des Wassers. Auf dem Sportplatz trifft man einen jungen Schreiberling, der seine Sätze schärft wie Klingen. In diesen Momenten wird Finley nicht nur zum Arzt, sondern zum Zuhörer, zum Mentor, zum Spiegel. Es sind diese Geschichten am Rande des Weges, die dem schweren Hauptpfad immer wieder eine unerwartete Wärme spenden.

Angler in Pocupine erzählt Finley vom dem Fluss des Lebens.

Tod, Krankheit und die Nacht im Inferno

Doch das Licht währt nicht ewig. Schwer wiegt die Nacht, in der Irma DiCalma stirbt – ohne dass man eine Schuld trägt, und doch mit dem Kloß der Ohnmacht im Hals. Kurz darauf rollt eine Magen-Darm-Welle durch Porcupine, die Stationen quellen über, die Proteste draußen eskalieren. In der höchsten Not wird Raum geschaffen, wo keiner ist, Grenzen werden überschritten – und es endet in der ultimativen Katastrophe: Feueralarm. Nichts als Chaos, eine panische Evakuierung in die Turnhalle der Schule, das Heulen der Sirenen. Dr. Theobald, der Chefarzt, kehrt zurück ins Feuer, um nach Zurückgebliebenen zu suchen – und kehrt nicht wieder. Als der Morgen graut, blickt Porcupine auf verkohlte Mauern, als hätte jemand dem Herzen der Stadt mit einem Schlag alle Farbe entzogen.

Finley versucht Patienten aus dem brennenden Hospital raus zu schieben.

Ein Ende ohne Trost und ohne Antworten

Der Abspann schenkt keinen Trost, keine Erlösung. In den Glowmilk Woods, dem stillen Wald vor den Toren der Stadt, streifen Finley und Pina zwischen Pinas Gedenkfiguren; sie setzen einem Theobald-Figürchen ein Stethoskop auf – ein letzter Gruß an jene, die fehlen. Das Ende ist offen für Deutungen – gewiss kein glückliches. Ich saß mit schwerem Herzen vor dem Bildschirm. Man hofft auf Anerkennung, auf ein wachsendes Vertrauen, auf ein leises „Es wird schon“ – und bleibt am Ende mit nichts als Asche zurück. Vielleicht ist genau das der Punkt: Nicht jede Geschichte heilt, und nicht jede Wunde schließt sich je wieder.

Fazit: Ein süßer Mantel für eine bittere Pille

Fall of Porcupine tarnt seine scharfe Systemkritik im Gewand eines „Cozy Games“ – mit niedlicher Grafik, einem warmen, melancholischen Soundtrack und charmanten Figuren, die man sofort ins Herz schließt. Unter diesem weichen Fell lauert jedoch eine unbequeme Wahrheit über Stress, Überforderung, Verlust und ein Gesundheitssystem, das allzu oft im eigenen Getriebe knirscht.

Die Stärken liegen in der dichten Atmosphäre, den mutigen, erwachsenen Themen, dem wundervollen Klangteppich und einer emotionalen Wucht, die lange nachhallt. Zu den Schwächen zählen sich wiederholende Minispiele, technische Zipperlein hier und da und ein offenes Ende, das nicht jeden Reisenden zufrieden aus der Geschichte entlassen wird.

Wer ein reines Wohlfühlspiel für den gemütlichen Abend am Kamin sucht, der greift hier daneben. Wer aber den Mut hat, hinter die bunten Fassaden zu blicken, der bekommt ein Erlebnis, das nachklingt – wie das ferne Läuten einer Krankenhausglocke, das der Wind leise über die Ruinen trägt.

Bild von Wirt Kai

Wirt Kai

Ich bin Kai, der Wirt und Gründer dieser kleinen Taverne. Als Familienvater ist meine Zeit kostbar, daher gilt meine Leidenschaft den Abenteuern, die nicht nur unterhalten, sondern eine Geschichte erzählen, die es wert ist, geteilt zu werden. Ich durchstreife die digitalen Welten auf der Suche nach diesen unvergesslichen Juwelen und teile meine besten Funde mit euch. Ich freue mich auf die Gespräche am Kaminfeuer – hier in den Kommentaren!

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